Bild v.li.: Bernd Reuther - Erster Kriminalhauptkommissar Köln, Prof. Dr. Mathias Schwabe, Friederike Mrotz und Femi Obusin von Plan A gGmbH, KJF-Direktor Michael Eibl, Prof. Dr. Claudius Ohder (Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin), KJF-Abteilungsleiter Robert Gruber und Gesamtleiter von St. Vincent Wolfgang Berg.
„Das geht oft an die Grenzen, das fordert die Pädagoginnen und Pädagogen heraus, doch leitend bleibt für uns die Frage: Wie können wir helfen?“, stellte der Direktor der Katholischen Jugendfürsorge, Michael Eibl, bei der Fachtagung mit dem Leittitel: „Hilfen – Zukunft – Gestalten“ heraus.
Das Kinderzentrum St. Vincent der Katholischen Jugendfürsorge der Diözese Regensburg bietet mit der aktuellen Fachtagung: „Systemsprenger und Grenzgänger als ständige Herausforderung für die Erziehungshilfe" ein Thema, das bundesweit rd. 250 Fachleute nach Regensburg in die Continental-Arena brachte. „Das Interesse ist überwältigend“, bestätigt der Gesamtleiter von St. Vincent Wolfgang Berg. Wieder einmal ist es der renommierten Einrichtung der KJF gelungen, ein fachlich anspruchsvollen Thema von ausgewiesenen Experten mit Impulsen, Beiträgen und Lösungsansätze für die Praxis darzustellen.
Helfersysteme besonders gefordert
Wann sprechen wir eigentlich von „schwierigen Kindern“? Im Jugendhilfekontext, also dann, wenn Kinder und Jugendliche wegen ihrer besonderen Lebensumstände und ihres Verhaltens in Einrichtungen betreut und begleitet werden, gelten als besonders schwierig jene Kinder, die massiv Grenzen überschreiten und Normen verletzen. „Es sind häufig Kinder und Jugendliche, die einer transgenerationalen Traumatisierung ausgesetzt sind, d.h. dass in diesen Familien sich über Generationen hinweg Problemlagen wie Missbrauch oder eine Suchterkrankung über Verhaltens-Traditionen fortsetzen“, erklärte Wolfgang Berg. Gelingt es mit professioneller Hilfe, derartige Traditionsketten zu durchbrechen, kann viel Leid abgewendet werden. „Es ist eine gesellschaftliche Verantwortung, die wir hier in den Einrichtungen übernehmen, die Verantwortung für die Schwächsten unserer Gesellschaft“, so Berg. Seiner Ansicht nach hat das Durchbrechen dieser Traditionsketten auch eine volkswirtschaftliche Komponente. Denn, wenn die Reintegration der Kinder und Jugendlichen nicht gelingt, dann entstehen immense Folgekosten für die gesamte Gesellschaft. Berg machte deutlich: Es drohen Arbeitslosigkeit, Hartz IV-Status, Straftaten, die Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt. „Angesichts der demographischen Entwicklung können wir es uns nicht erlauben, auch nur eine Chance unversucht zu lassen.“
Helfersysteme sind besonders gefordert, wenn es um eine gute Lebensperspektive für junge Menschen mit schwerwiegenden Problemen geht. Jugendhilfe, Psychiatrie, Schulen, Polizei und das Schulsystem arbeiten vernetzt und intensiv zusammen, um den Betroffenen zu helfen. Das trägt nicht zuletzt auch dazu bei, dass sich die Systeme weiterentwickeln und neue Handlungsansätze entstehen. Jedes Kind, jeder Jugendlicher und jede Familie, d.h. die Eltern oder andere sorgeberechtigten Personen, haben ein gesetzlich festgelegtes Recht auf Hilfen zur Erziehung. Für die Jugendhilfe gilt: „Kein Kind, kein Jugendlicher darf verloren gehen.“
Verständnis und Ausdauer im Erziehungsalltag
Etwa 240 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene werden aktuell in verschiedensten Maßnahmen der Erziehungshilfe und in der St. Vincent Schule, einer Schule zur Erziehungshilfe, begleitet und betreut. Etwa 20 Prozent unter ihnen würde Wolfgang Berg als „Systemsprenger und Grenzgänger“ bezeichnen. Das fordert die 220 Fachkräfte im Haus enorm heraus. Es sind hauptsächlich pädagogische Fachkräfte wie Erzieher/innen, Sozialpädagogen/innen, Heilerziehungspfleger/innen, Heilpädagogen/innen und Erziehungswissenschaftler/innen.
Häufig treten Konflikte und Krisen bei den Kindern auf. Professionelles Handeln verlangt ein hohes Maß an Fachwissen über psychiatrische Störungsbilder, pädagogische Modelle zu deren Entstehung und selbstverständlich hohe Handlungskompetenzen in der Gestaltung des pädagogischen Alltags und der Bewältigung von fremd- und selbstaggressiven Krisen. „Damit müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter klar kommen“, sagt Wolfgang Berg, „sie müssen immer wieder Verständnis aufbringen und ausdauernd sein, wenn nach kleinen Fortschritten auch mal Rückschläge auftreten. Ihre wesentliche Aufgabe ist es, diese Jugendlichen mit ihren verschiedensten Verhaltensauffälligkeiten auszuhalten.“
Stabile Beziehungen, professionelle Hilfen
Wenn es gelingt, dass sich die jungen Menschen in stabilen Beziehungen gehalten wissen, wenn sie Vertrauen wagen können und spüren, da ist jemand da für mich, auf den ich mich verlassen kann, dann ist dies einer der größten Erfolge und zugleich die Grundlage für eine positive Entwicklung der Betroffenen. Daran arbeiten die Profis in St. Vincent intensiv, mit viel Herzblut und Engagement. Ihr fachliches Rüstzeug und entsprechende Rahmenbedingungen in der Einrichtung, wie etwa die intensivtherapeutische Gruppe in der Clearingstelle oder die intensiv sozialpädagogische Einzelbetreuung sind notwendig, um das zu erreichen. Sie lenken den Blick auf die Ressourcen der jungen Menschen und nicht auf deren Defizite. Sie zeigen ihnen, was sie mit ihrem Verhalten bewirken und greifen ein, wenn Situationen zu eskalieren drohen. Sie sind geschult in Traumapädagogik und arbeiten regelmäßig in einem Partnernetzwerk. Alle ziehen an einem Strang: Schule, Polizei, Psychiatrie, Einrichtung.
Was der Fachtag brachte.
In den zwei Vorträgen am Vormittag wurden grundlegende Setting-Fragen in der Betreuung „Schwieriger“ beleuchtet. Prof. Dr. Mathias Schwabe, Professor für Methoden der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Hochschule Berlin, zeigte auf: „Wer sind die Schwierigsten?“ und „wie sind sie es geworden“. Im Vortrag von Dr. Thomas Müller, Akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Pädagogik bei Verhaltensstörungen der Universität Würzburg, ging es um „Vertrauen“ als grundlegendes Element der pädagogischen Arbeit mit besonders schwierigen Kindern und Jugendlichen.
Am Nachmittag wurden in Workshops innovative Modellprojekte vorgestellt. Die Bandbreite ging hierbei von einem niedrigschwelligen Angebot in Berlin (Freiraum mit Risiko) über spezielle Angebote bzw. Maßnahmen für delinquente Jugendliche (Neuköllner Modell, Kölner Haus des Jugendrechts) sowie über individuelle, an der persönlichen Situation des Jugendlichen entwickelte ambulante Hilfen (Plan A gGmbH).
Text und Bild: Christine Allgeyer